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Die (ehemaligen) Hadader Juden

Bereits in der ersten Ausgabe 2009 unseres jährlich erscheinenden Magazins „Kriegsdorf, unser Dorf…“ wurden Zeitzeugen gesucht, die unter anderem auch über die ehemalige jüdische Siedlung in Hadad berichten können. Leider blieb dieser Aufruf bis jetzt erfolglos.

Als am 07. November 2010 auf unserer Internet Homepage im Gästebuch nachfolgender Eintrag
einging,


„Schöne Berichte, rührende Schicksale. Aber, was ist mit den Juden aus Hadad? Was ist mit denen geschehen? Wo sind sie hin? Kann jemand dazu was berichten? Es wäre interessant darüber was zu erfahren. Wir wissen viel über die Soldaten die bei den Horthysten, Wehrmacht und SS waren. Auch die Gefangenen und Russland-Deportierten sind uns bestens bekannt. Aber wir wissen nichts über unsere ehemals jüdischen Nachbarn. Wo sind sie? Was ist aus ihnen geworden? Wer/wo hat überlebt? Wer kann über sie berichten? Es wäre sehr wichtig.“

 

habe ich mich dazu entschieden, einen Bericht zu schreiben:

 

Der Absender dieses Beitrages hat leider seine E-Mail Adresse nicht angegeben. So konnte die HOG Kriegsdorf, als Betreiber dieser Internetseite, trotz Aufforderung keinen Kontakt mit ihm herstellen.
Ich möchte in die obigen Zeilen nichts hineininterpretieren, versuche aber im Folgenden
über unsere ehemaligen Mitbewohner zu berichten, was ich in Erfahrung bringen konnte.

Da ich 1952 geboren bin und daher nicht als „Zeitzeuge“ fungieren kann, basieren meine Recherchen auf Daten, die bereits in verschiedenen Dokumentationen veröffentlicht wurden.

Wenn man über die Vergangenheit der Juden in Hadad vor dem zweiten Weltkrieg berichtet, so stellt man fest, dass diese Volksgruppe hier auf ein jahrzehntelanges Dasein zurückblicken kann.
So lebten 1880 ca. 139 Personen jüdischer Abstammung in Hadad, zwanzig Jahre später, also 1900 wuchs ihre Anzahl auf 167 Personen. Im Jahre 1930 zählte die jüdische Gemeinde immerhin 101 Seelen.


Im Jahre 1937 besuchten zwei deutsche Studenten, Oskar Römer und Fritz Ruland, Kriegsdorf.
In Ihrer Arbeit „Kriegsdorf – eine deutsche Insel in der Nordwestecke Rumäniens“ äußerten sie sich wie folgt über die Juden:

„Die Juden haben ihre besondere Stellung im Dorf. Sie haben den Handel Hodods in ihren Händen und sind vor allem als Vieh- Frucht- und Obsthändler, Kaufleute (3 Geschäfte, Gastwirte (3 Wirtschaften) und Makler tätig. Grundbesitz haben sie keinen. Nach der Sitte ihres Volkes tragen sie den dunklen Kaftan und den runden Hut, lassen sich lange Bärte
wachsen und lange geringelte Ohrenlocken, so dass sie schon an der äusseren Aufmachung erkenntlich sind. Auf dem Marktplatz Hodods steht ihre Synagoge und ihr Ritualbad. Bei Ungarn und noch mehr bei den Deutschen sind die Juden nicht beliebt und sie lassen sich im deutschen Teil auch kaum einmal sehen. Sie wohnen zwischen Rumänen und Ungarn, nur ein jüdischer Kaufmann hat sich am Rande des deutschen Teils niedergelassen, hat aber keine deutsche Kunden. Die Deutschen in Kriegsdorf haben den gesunden Antisemitismus, der auch in anderen Volksgruppen des Südostens feststellbar ist. Sie versuchen im wirtschaftlichen Leben möglichst ohne Juden auszukommen und so wird z. B. der gesamte Obsthandel mit Griechen abgemacht.“

Angesicht der Tatsache, dass seit 1933 in Deutschland die Nationalsozialisten an der Macht waren und der Antisemitismus ungeahnte Formen annahm, sollte man diese Äußerung aus diesem Blickwinkel betrachten.

Die geschichtlichen Aufzeichnungen von Römer und Ruland, was die Geschichte der Deutschen in Kriegsdorf betrifft, sind enorm wichtig. Wir können aber davon ausgehen, dass die beiden Studenten bei ihrer Arbeit von dem damaligen deutschen evangelischen Pfarrer Adalbert Aikelin, der wie Zeitzeugen berichten, selbst ein glühender NS-Anhänger war, beeinflusst wurden.

Wenn man die Geschichtsbücher mal genauer betrachtet, so erfährt man, dass gerade die Kirchen in Siebenbürgen, wie auch die deutsche Bevölkerung zum Großteil sehr von der NS-Ideologie geprägt wurde, aber auch sehr tief gespalten war.
Zeitzeugen berichten, dass zumindest vor Ausbruch des Krieges der Umgang mit den jüdischen Einwohnern Hadads eher normal als angespannt zu bezeichnen war.

Am 01. September 1939 begann der zweite Weltkrieg und als Folge bekam auch das friedliche Zusammenleben in Hadad die ersten Kratzer.

Die Spannung zwischen den dort lebenden Volksgruppen wuchs.
Den Volksdeutschen, die außerhalb des Reiches wohnten (siehe dazu den „Erlaß des Führers und Reichkanzlers zur Festigung deutschen Volkstums“ vom 07. Oktober 1939), war die Rückführung und Heimkehr ins Reich von den Nazis versprochen worden, mit allen damit verbundenen Vorteilen.
Auch die „Ausschaltung“ von volksfremden und schädigenden Bevölkerungsteilen (Juden, Sinti und Roma, „Erbkranke“ und „Behinderte“, Homosexuelle, Prostituierte und „Kriminelle“) war Gegenstand dieses Erlasses.
Wie diese „Ausschaltung“ dann umgesetzt wurde, ist eine der größten menschlichen Tragödien.
Es wurden Vernichtungslager gebaut, in denen Millionen unschuldige Menschen ihren sinnlosen Tod fanden.
Es sind unendlich viele Episoden dieses Krieges bekannt. Darum versuche ich, soweit mir bekannt, über die Juden in Hadad zu schreiben.

Am 19. März 1944 wurde Ungarn von den deutschen Truppen besetzt. Adolf Eichmann, einer der wichtigen SS-Männer Hitlers übernahm selbst die Organisation der Massendeportation der Juden.
Ein ehemaliger Hadader Bürger, namens Kaszta István, geht in seinem Buch „Hadad, a hadak útján“ näher auf das Schicksal der Hadader Juden ein. Ich versuche ein paar Ausschnitte aus seinem Buch zu übersetzen:

„Eichmann organisierte mit deutscher Gründlichkeit die Ansammlung der ungarischen Juden in verschiedenen Ghettos. Obwohl die Engländer und Sowjets bereits ungarische Fabriken und Bahnhöfe bombardierten, gelang es ihm von der MÁV (Ungarische Bahn) die notwendigen Eisenbahngarnituren zu organisieren, um die Deportation der Juden voranzutreiben. Am 15. Mai beginnt die erste Deportation der Juden von Sighetul-Marmaţiei. Im Juni folgen die Kreise Sathmar, Szilágy und Klausenburg. Die Hadader Juden wurden an einem warmen Maitag in ihrer Kirche zusammengetrieben. Der Durst quälte die in dem Raum zusammengepressten Juden. Die Gestapo erlaubte ihnen lediglich Lebensmittel für fünf Tage mitzunehmen“.


Ein ehemaliger Hadader Jude (P.F. – zurzeit in Amerika lebend) erinnert sich:

„Im Jahre 1935 wohnten wir ursprünglich neben der deutschen Kirche, anschließend im Hof
des Wesselényi Schlosses und zu guter Letzt neben dem Richter-Laden, mitten im Dorf.
Eines Tages (Anmerkung: muss wohl 1944 gewesen sein) kam ein Auto aus Cehu-Silvaniei. Die drei bis vier Soldaten erkundigten sich, wo der deutsche Pfarrer (Adalbert Aikelin) wohnt. Ich bin in die Wohnung gerannt und erzählte meiner Mutter, was ich gesehen habe. Meine Mutter eilte zu der Gattin des deutschen Pfarrers, mit der sie befreundet war. Auf die Frage meiner Mutter, zum Besuch der deutschen Soldaten, antwortete sie, dass es geheime Informationen sind, die sie nicht verraten darf. Das war eine schlechte Nachricht für die Hadader Juden.
Danach wurde von der Gemeinde verkündet, dass die Juden ihr Geld, Gold und andere Wertsachen abzugeben haben. Ein Gendarm, der uns besuchte, teilte uns mit, dass wir nach Mikoújfalu ziehen müssen. Mein Vater sollte dort als Arzt arbeiten (wir wurden später auch dorthin gebracht, aber von dort kam meine Familie nach Auschwitz).
Ein paar Tage danach wurden alle Juden versammelt (Frauen, Männer und Kinder). In ihren Händen hielten Sie ein kleines Päckchen. Es war ein grausamer Anblick. Außer den Gendarmen war nur eine laut weinende Zigeunerfrau zu erkennen. Mein Herz schmerzte angesichts dieser Bilder. Ein paar Männer schimpften über die Juden, sie hätten nicht all ihre Habseligkeiten abgeliefert. Natürlich stimmte das nicht, denn in Hadad gab es eh keine reichen Juden. Meine Eltern wurden in Auschwitz getötet. Mein Bruder G. und ich überlebten die vier Konzentrationslagern (Auschwitz, Buchenwald, Zeitz und Bergen-Belsen), in die wir gebracht wurden. Zurzeit schreibe ich meine Memoiren.
Wenn du die Möglichkeit hast, so helfe deinen Mitmenschen, denn das Leben ist kurz. Ich wünsche allen Hadader alles Gute, auch jenen Familien, denen mein Vater als Arzt bei Krankheit helfen konnte. Ich danke, dass ich bis 1944 in Hadad gut leben konnte. Die Erinnerung an diese Zeit hilft mir, heute vielen Menschen Gutes zu tun“.

Nach dem Krieg kehrten ein paar Juden, die den Holocaust überlebten, nach Hadad zurück. Einer dieser Überlebenden heißt Moskovits. Er war ein jüdischer Kaufmann.
Ein evangelischer Pfarrer aus Hermannstadt (Johann Miess), der im August 1946 vom Landeskonsistorium beauftragt wurde die Konfirmation in Hadad vorzunehmen, traf diesen Juden.
Moskovits erzählte ihm, dass nur wenige von den 40 Familien, die unmittelbar vor dem Krieg in Hadad wohnten, den Holocaust überlebt haben. Er selbst hat von seiner Frau und den vier Kindern nichts mehr gehört. „Wahrscheinlich sind sie umgekommen“, sagte er.
Pfarrer Aikelin habe die Leute aufgehetzt, dass niemand mehr bei ihm was kaufen soll,
obwohl sie bis dahin friedlich miteinander lebten. Heutzutage leben keine Juden mehr in Hadad. Der letzte Hadader Jude ist im Jahre 1965 nach Israel ausgewandert.
Es macht einen traurig und betroffen, wenn man an die vielen ermordeten Juden denkt. Dafür gibt es keine Entschuldigung.
Meine Gedanken sind aber auch bei denen, die wegen diesem sinnlosen Krieg, Flucht, Vertreibung und Deportation ertragen mussten und ihre Heimat verloren haben.
Ich denke auch an unsere verstorbenen Väter, die ebenfalls Opfer dieses Krieges wurden.
Die Welt ist dadurch nicht besser geworden, denn man hat daraus so gut wie nichts gelernt (siehe Vietnam, Irak, Balkan - Srebrenica)!!!

Ich erlaube mir abschließend unseren ehemaligen Bundespräsidenten Richard von Weizsäcker
zu zitieren. Das Zitat stammt aus seiner Ansprache am 08. Mai 1985 anlässlich des 40. Jahres-
tags der Befreiung vom Nationalsozialismus:

„Der Völkermord an den Juden ... ist beispiellos in der Geschichte. Die Ausführung des Verbrechens lag in der Hand Weniger. Vor den Augen der Öffentlichkeit wurde es abgeschirmt. Aber jeder Deutsche konnte miterleben, was jüdische Mitbürger erleiden mussten, von kalter Gleichgültigkeit über versteckte Intoleranz bis zu offenem Hass. Wer konnte arglos bleiben nach den Bränden der Synagogen, den Plünderungen, der Stigmatisierung mit dem Judenstern, dem Rechtsentzug, der unaufhörlichen Schändung der menschlichen Würde? ... Es gab viele Formen, das Gewissen ablenken zu lassen, nicht zuständig zu sein, wegzuschauen, zu schweigen. Als dann am Ende des Krieges die ganze unsagbare Wahrheit des Holocaust herauskam, beriefen sich allzu viele von uns darauf, nichts gewusst oder auch nur geahnt zu haben. Schuld oder Unschuld eines ganzen Volkes gibt es nicht. ... Der ganz überwiegende Teil unserer Bevölkerung war zur damaligen Zeit entweder im Kindesalter, oder noch gar nicht geboren. Sie können nicht eine eigene Schuld bekennen, für Taten, die sie gar nicht begangen haben. ... Aber die Vorfahren haben ihnen eine schwere Erbschaft hinterlassen. Wir alle sind von ihren Folgen betroffen und für sie in Haftung genommen. ... Wer aber vor der Vergangenheit die Augen verschließt, wird blind für die Gegenwart ... Das jüdische Volk erinnert sich und wird sich immer erinnern. Wir suchen als Menschen Versöhnung".


Georg Erdei, Dezember 2010