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Geschrieben von Ann (Pretli) Bezaire
109 Kael Crescent
Harrow, Ontario CANADA
(Tochter von Michael und Annie [Löscher] Pretli)
Ins Deutsche von Christian Hotz

Was als Kindheitstraum begann, wurde Realität, als mein Sohn Brandon und ich am 06.07.2009 nach Österreich flogen, um den Geburtsort meiner Eltern und all die anderen Orte, mit denen sie etwas verband, bevor sie in den frühen 1940ern nach Kanada auswanderten, zu sehen. Wir wurden von meinem Cousin Erich Hotz und seiner Schwester Mary empfangen. Von diesem Tag an wurden meine Träume wahr.

Am 07.07.09 brachte Erich uns nach Bindermichl, wo meine Eltern 1944 nach ihrer Flucht vor den Russen aus Kriegsdorf in einem Camp lebten. Wir hatten die Gelegenheit, einige der älteren Gebäude zu sehen, die dort noch standen. Wir sahen das Feld, auf dem früher die Fußballwiese war, wo sie sich die Spiele ansahen, ebenso wie den Kanal, in dem sie spielten. Wir gingen über dieselben Pfade, über die sie zur Schule gegangen sind und alles, was wir sahen, beeindruckte uns. Wir fuhren nach Hummelhof, um den Ort zu sehen, an dem die Schule stand. An dieser Stelle befand sich nun ein wunderschöner Park. Ich versuchte es mir bildlich vorzustellen - meine Eltern auf dem Weg zur Schule, Kinder ringsum. Ich versuchte mir vorzustellen, wie sie da saßen und den Fußballspielenden und den Spielenden im Kanal zuguckten. Es war mir, als wäre ich mit ihnen da gewesen.

Der wichtigste Teil unserer Reise begann am 08.07.2009, als wir, dank der Hilfe und des Großmutes meines Cousins und seiner Frau, den Geburtsort meiner Eltern (Annie [Löscher] und Michael Pretli) besuchen konnten. Der Geburtsort ist Kriegsdorf (auch Hadad), im heutigen Rumänien. Wir waren an diesem Tag früh aufgebrochen, Erich Hotz, mein Sohn Brandon, Georg Erdei, Herbert Hotz, seine Freundin Dagmar, Renate Hotz, ihre Tochter Marlene, Anna Jakob und ich, in einem gemieteten Kleinbus. Unser erster Aufenthalt war Iklad, wo wir einen Friedhof besuchten, auf dem unsere Ahnen begraben sind. Obwohl ich nicht mit Bestimmtheit wusste, wer diese Ahnen waren, sahen wir viele Grabsteine, die mir bekannte Nachnamen trugen. Wir hielten für eine Zwischenmahlzeit und setzten unsere Reise nach Rumänien fort.

Viele schöne und interessante Anblicke boten sich uns auf dem Weg. Als wir uns unserem Ziel näherten, hielten wir am Straßenrand, um ein Foto von meinem Sohn Brandon und mir zu machen, die wir vor einem Schild mit der Aufschrift “Hadad” standen, um es später meinen Eltern zu zeigen. Uns wurde gesagt, wir müssten bis zum nächsten Morgen warten, was uns schwer fiel, da wir so kurz vor dem Ziel waren. Wir setzten unsere Fahrt nach Szilagycseh fort. Unglücklicher Weise erkannte ich die Bedeutung diese Ortes erst, als es bereits zu spät war und wir die Stadt wieder verlassen hatten. Ich wünschte, ich hätte Bilder gemacht. In meinem Kopf wenigstens sind die Bilder noch sehr präsent und ich glaube, ich werde sie nie vergessen. Einige Tage später wurde ich unterrichtet, dass mein Großvater dort in Szilagycseh sein Obst zum Verkauf anbot, um seine Familie zu ernähren.

Am 09.07.2009 schließlich erreichten wir Kriegsdorf (Hadad) und ich spüre immer noch die Aufregung, die ich empfand. Wir gingen ins Rathaus, wo wir den Bürgermeister trafen und ich erinnere mich, wie ich mit meinen Blicken der Straße folgte, die ins Dorf führte und ich ihr folgen wollte. Sie zeigten mir, wo der Marktplatz war. Wir sahen sogar das Haus von Baron Wesselenyi, das sich in sehr schlechtem Zustand befand, jedoch war es nicht schwer, sich vorzustellen, wie es einst aussah. Das örtliche Postamt verkaufte leider keine Postkarten, die ich gerne an Eltern und Familie verschickt hätte. Wir hielten an einem Kiosk und kauften eine kleine Seidenrose, die ich auf das Grab meines Großvaters legen wollte. Ich hatte es meiner Mutter vor meiner Abfahrt versprochen und da es nur eine einzige Rose gab, sah ich darin ein Omen, dass wir das Grab meines Großvaters finden würden.

Wir machten uns schließlich auf den Weg entlang der Straßen von Kriegsdorf und ich erinnere mich, wie aufgeregt ich war. Zu meinem Erstaunen stellte ich fest, dass die Straßen gut waren, eine von ihnen sogar befestigt und es gab einige neuere Häuser. Dies widersprach dem, was meine Nichte mir erzählt hatte. Sie war vor weniger als zwei Jahren dort gewesen und die Straßen waren so schlecht, dass Karren und Autos sie nicht passieren konnten, sogar Fußgänger Schwierigkeiten hatten, durchzukommen. Als wir weitergingen, fiel mir ein Café auf und die Baptistenkirche, die sich in einem guten Zustand befand. Dann sah ich die Kirche meiner Eltern und was ich sah, konnte ich kaum glauben: sie wurde repariert, was wieder dem widersprach, was meine Nichte gesagt hatte, nämlich dass sie nicht repariert würde und völlig verwahrlost war, als sie sie sah.

Mein Herz schmolz ein weiters Mal dahin und als wir die Treppen hinaufstiegen, hätte ich vor Glück weinen können. Auf der anderen Straßenseite war die alte Schule und neben der Kirche die neue Schule (Kindergarten). Ihr Zustand machte mich traurig. Wir gingen in die Kirche und es rührte mich zu Tränen. Ich machte mehrere Bilder von den blauen Bänken, von denen meine Mutter mir erzählt hatte, der Chorempore, dem Kronleuchter, dem Taufbecken, dem Notenständen und sogar der Pfarrkanzel. Ich machte eine wunderschöne Portraitaufnahme der Kirche von vorne – von all den Dingen, die schon da waren, als meine Eltern jung waren. Ich stellte mir vor, wie sie getauft, konfirmiert wurden, wie sie mit mir genau hier stünden. Es war eine wundervolle Erfahrung! Wir hatten sogar die Möglichkeit, den Pastor der Kirche, Pastor Wagner, kennen zu lernen. Ich versuchte möglichst viele Bilder zu machen, die ich zu Hause zeigen konnte und ich wusste, meine Eltern würden sehr glücklich sein zu wissen, dass ihre Kirche repariert und erneuert wird.

Wir setzten unseren Fußmarsch fort und ich sah viele baufällige Häuser und mir wurde klar, wie stark dieses Dorf dem Verfall ausgesetzt ist. Einige Baumaßnahmen waren ergriffen worden aber es gibt so viel mehr, was getan werden müsste. Ich wünschte, die Leute hier könnten es besser haben, aber ich wusste, sie hatten sich daran gewöhnt. Mir fielen einige Kinder auf und ich wünschte ihnen alles Glück und ein gutes Leben. Ein Haus wurde mir gezeigt, von dem man glaubte, es habe meinem Vater gehört. Erneut kamen mir Freudentränen. Später erfuhr ich, dass es nicht meinem Vater gehört hatte und war enttäuscht. Als ich allerdings wieder zu Hause meiner Mutter das Bild zeigte, bestätigte sie, dass es das Haus meines Paten, George Pretli, war, der dort gelebt hatte. Auf unserem Weg zurück zum Rathaus bogen wir in eine Seitenstraße ein, in der wir zum Mittagessen eingeladen wurden. Was für ein Mittagessen – genau wie meine Mutter es immer noch macht: Bohnensuppe, Schupfnudeln und Gurkensalat. Es war exzellent!

Am Nachmittag gingen wir hoch zum Friedhof um das Grab meines Großvaters zu suchen. Es gab keinen befestigten Weg, wie meine Mutter erwähnt hatte, und so marschierten wir über das offene Feld, um den Friedhof zu erreichen. Er besteht aus zwei Parzellen, getrennt durch eine mit Gestrüpp bewachsene Fläche. Ein Teil der Gruppe ging nach links und Brandon und ich gingen nach rechts, um das Grab meines Großvaters zu suchen und das meiner Tante und meiner beiden Onkels, die drei Geschwister meiner Mutter, die sehr jung gestorben sind. Der Friedhof war verwildert, was uns das Suchen erschwerte, und die Namen standen auf der Rückseite der Grabsteine und nicht, wie heute üblich, auf der Vorderseite. Mein Sohn suchte lange nach den Gräbern – ohne Erfolg; wir suchten sogar im Gestrüpp und nach einer Weile bat ich ihn aufzuhören, bevor er sich verletzt. Brandon sah mir die Enttäuschung darüber, dass wir die Gräber nicht gefunden hatten, ins Gesicht geschrieben und suchte weiter. Doch nach einer Weile warnte ich ihn wieder aufzuhören, bevor er sich verletzt. Es war in diesem Augenblick, dass mir Tränen in die Augen schossen, weil wir nicht in der Lage waren, die Gräber aufzufinden und das Versprechen, eine Rose auf das Grab meines Großvaters zu legen, das ich meiner Mutter gegenüber abgegeben hatte, zu halten. Ich sah mir den Friedhof an und wünschte mir, er wäre besser gepflegt worden. Wir gingen zurück zum Rathaus, doch mein Herz schmerzte. Man sagte mir später, dass der Friedhof in Ordnung gebracht werden würde und ich bat meinen Cousin Erich Hotz, eine Rose auf das Grab meines Großvaters zu legen, davon ein Foto zu machen und es mir zu schicken, sollte es geschehen. Ich wäre sehr dankbar dafür.

Als wir in die Stadt zurückkehrten, wurden wir von Anna Jakob empfangen und es gab Gebäck (welches auch meine Mutter noch immer macht) und hausgemachten Wein.
Als wir zum Auto zurückkehrten, um nach Szilagycseh zu fahren, und ich erfuhr, dass wir am nächsten Morgen abreisen würden, war ich sehr aufgeregt, da ich weder das Haus meines Vaters, noch das Stück Land, auf dem das Haus meiner Mutter und meiner Großeltern einst stand, gesehen hatte.

Am 10.07.09 kehrten wir zurück und machten uns erneut auf den Weg nach Kriegsdorf, auf der Suche nach der Straße, in der meine Mutter gelebt hatte und dem Haus meines Vaters, ebenso wie den Häusern der Angehörigen der anderen Gefährten unserer kleinen Gefolgschaft. Wir fanden ein Haus, das aussah, als wäre es einst das schönste Haus in ganz Kriegsdorf gewesen. Es hatte Erichs Großeltern gehört, ein Pretli-Haus also. Wir gingen weiter und trafen einige Leute, eine geborene Pretli (ich glaube allerdings nicht, dass wir verwandt sind) und eine andere, die sich Maria Henkel nannte. Als ich mit dieser Frau sprach, versuchte ich ihr zu erklären, wer ich bin und schließlich erwähnte sie die Dorfnamen meiner Eltern und erinnerte sich tatsächlich an sie. Ich war verzückt. Ich hatte endlich jemanden gefunden, der sich an meine Eltern erinnerte. Leider hatte ich vergessen, nach ihrem Mädchennamen zu fragen, um meinen Eltern zu sagen, wer sie ist. Ich habe ihnen Bilder gezeigt, die ich von ihr gemacht hatte, aber leider konnten sie sich nicht an sie erinnern. Die Frau hat die übrige Zeit mit uns verbracht. Wir kamen an eine Straße, die nicht mehr als ein Feldweg war und mir wurde gesagt, sie würde mich an die Stelle bringen, an der sich einst das Haus meiner Mutter befand. Wir gingen bis zum Ende dieser Straße, kamen an einem einzigen Haus vorbei und kamen schließlich an ein mit Bäumen bewachsenes Stück Feld, auf dem das Haus meiner Mutter gestanden haben muss. Leider war das Haus schon lange nicht mehr dort. Später erfuhr ich, dass das einzelne Haus, das wir auf dem Weg gesehen hatten, meinem Onkel väterlicherseits gehört hatte.

Als wir weitergingen, lag vor uns das Haus meines Vaters. Es stand und war bewohnt. Sie hatten sogar eine Satellitenschüssel. Ich war überglücklich, es zu sehen, weil ich wusste, es war Teil der Vergangenheit meines Vaters. Mein Herz schmolz erneut dahin. Obwohl Anzeichen kleinerer Reparaturen zu sehen waren, waren viele weitere notwendig. Als ich jedenfalls meiner Nichte daheim das Bild des Hauses zeigte, sagte sie mir, dasselbe Haus war vor zwei Jahren, als sie dort gewesen war, in einem desolaten Zustand gewesen. Nun sah es wesentlich besser aus.

Es war Zeit, Kriegsdorf zu verlassen und ich war traurig, gehen zu müssen. Ich weiß, ich werde diese Reise mein ganzes Leben lang nie vergessen und kann gar nicht oft genug sagen, wie dankbar ich meinem Cousin dafür bin, dass er mir die Reise meines Lebens ermöglicht hat. Meine Träume wurden wahr!

Wir setzten unsere Reise nach Arad fort, wo wir einige Sehenswürdigkeiten besichtigten und fuhren am 11. 07. weiter nah Engelsbrunn, wo wir Pastor Walther Sinn trafen, der so freundlich war, uns einige Häuser zu zeigen, in denen Leute gelebt hatten, die aus Kriegsdorf gekommen waren. Er führte uns außerdem nach Semlak, wo er uns seine Kirche zeigte und uns in sein Haus einlud.

Am 12. 07. fuhren wir weiter nach Linz, am 13. 07. hatten wir einen ganzen Tag Zeit, um über die jüngsten Ereignisse nachzudenken.

Am 14.7. hatte Erich eine weitere Überraschung für uns und brachte Brandon und mich nach Eggerding, wo meine Eltern nach ihrer Flucht vor den Russen aus Kriegsdorf 1944 auf einem Bauernhof gearbeitet hatten. Zunächst brachte er uns zum Rathaus, wo ein Herr die Akte meines Vaters gefunden hatte und mir eine Kopie gab. Auf ihr stand das Datum, an dem mein Vater angekommen war, wo er arbeitete und wann er Eggerding verließ. Der freundliche Mann hatte leider die Akte meiner Mutter nicht finden können.
Erich fuhr uns zu dem Bauernhof, auf dem mein Vater gearbeitet hatte. Das alte Haus des Besitzers stand noch immer, ebenso die Scheune. Wir trafen einen Mann namens John Penninger, Ende 80, ein paar Jahre älter als mein Vater. Womöglich war er der Bauer, für den mein Vater gearbeitet hatte, oder sein Sohn, aber ich bin mir nicht sicher. Er erlaubte uns, einige Fotos von dem Bauernhof zu schießen, um sie meinem Vater zu zeigen.
Wir fuhren zum Mittagessen nach Andorf und dann an die Donau, leider unter schlechten Wetterbedingungen. Der Anblick war trotzdem wunderbar.

Am 15. 07. fuhr Erich mit uns in die Alpen. Wie wunderschön sie sind! Wir verbrachten die Nacht und den nächsten Tag dort, fuhren mit dem Skilift auf einen Gipfel. Der Anblick war atemberaubend und die Aussicht blieb mir in starker Erinnerung. Weiter fuhren wir bis zum Ende des Tals, wo wir wunderbar frühstückten und später durch die Berge zurück nach Linz.

Unsere Reise endete am 17.7., als wir nach Hause, nach Harrow, Ontario, Kanada, zurückkehrten. Ein weiteres Mal muss ich betonen, wie dankbar ich meinem Cousin und seiner Frau für alles bin, was sie getan haben, um unsere Reise so wunderschön zu machen. Ich werde nie vergessen, wie sie meine Hoffnungen und Träume haben Realität werden lassen – speziell der Geburtsort meiner Eltern, wo sie arbeiteten, und wo sie nach ihrer Flucht aus Kriegsdorf lebten.

Vielleicht kann ich eines Tages in ein völlig neu aufgebautes Kriegsdorf zurückkehren, in dem ich das Grab meines Großvaters besuchen kann. Bis dahin habe ich meine Erinnerungen, die mich immer begleiten werden.

Ann Bezaire