Eine aussterbende Gemeinde

 

Verfasst etwa um 1966 von Pfarrer A.Weniger (ein Sohn Kriegsdorfs)

 

In Nordsiebenbürgen, im Bistritzer Kirchenbezirk, gibt es heute schon drei ausgestorbene Kirchengemeinden und mehrere Gemeinden, die am Aussterben sind. Eine von den aussterbenden Kirchengemeinden ist Hadad. Diese Kirchengemeinde gehört seit 1872 zum Bistritzer Kirchenbezirk, obwohl sie 180 Kilometer von Bistritz entfernt liegt, sie gehört zum Komitat Szillagy und zum Stuhlrichterbezirk Szilagycseh (rumänisch Cehu-Silvaniei). Der Komitatsvorort ist Zilah (deutsch Zillenmarkt, rumänisch Zalau). Angeblich soll die Gemeinde deutsch Kriegsdorf geheißen haben, aber urkundlich habe ich den Namen nirgends gefunden.

Es ist keine sächsische Gemeinde, aber deutsch.

 

 

In der Gemeinde lebte eine angesehene ungarische Adelsfamilie, Wesselenyi de Wesseleny. Es war eine stattliche Gemeinde 1482 als oppidum genannt, ihre Anwohner waren Magyaren (Ungarn), nach der Reformation Reformierte, sie waren Hörige, oder Leibeigene der Grundherrschaft Wesselenyi, der Grundbesitz war sehr groß, lag aber zum großen Teile brach, denn die widerspenstigen Ungarn wollten nicht arbeiten, oder wenigstens nicht gut. Wesselenyi berief polnische Ansiedler, aber die zogen bald weg. Dann hat er sich entschlossen, deutsche Ansiedler kommen zu lassen.

 

 

1750 hielt der damalige Grundherr Franciscus Wesselenyi als Obergespan des Komitats (damals Mittelszolnok) in seiner Burg in Hadad eine Komitatsversammlung ab. An der Versammlung nahmen Grafen und Barone teil. Er teilte der Versammlung mit, dass er beabsichtige, deutsche Ansiedler auf seine Güter zu bringen. Die Versammlung billigte diesen Entschluss, ja sogar der Freiherr Bak äußerte den Wunsch, auf seinen Gütern dasselbe zu tun.

Wesselenyi wandte sich an das Großherzogtum Baden, aber es brauche nur Evangelische.

 

 

Es fanden sich auch Leute, die gewillt waren, aus der alten Heimat in das ferne Siebenbürgen zu ziehen. Es waren meist Handwerker, Schmiede, Schlosser und Weber. In einer alten Schrift heißt es: „Wir ziehen aus wegen versagter Religionsfreiheit und in Anhoffnung eines besseren Lebens“. Die Einwanderer kamen 1751 aus Durlach, Lörrach und Kreuzach. Selbstverständlich wurden sie von den ansässigen Ungarn nicht nur unfreundlich, sondern feindlich empfangen. Der Grundherr schützte sie und behandelte sie freundlich und half ihnen und baute ihnen auch eine kleine Kirche.

 

 

Die Auswanderer waren in Baden Leibeigene und mussten sich mit einem Taler frei kaufen. In einer mitgebrachten, in Karlsruhe ausgestellten Schrift heißt es: „Die Auswanderer, welche nach ihrer Ableistung freigesprochen wurden, müssen, wenn sie aus irgendeinem Grunde aus Siebenbürgen zurückkehren sollten, wieder Leibeigene sein“.

Aus Aufzeichnungen war ersichtlich, dass es ihnen hier besser ging, als in der alten Heimat. Fünf Jahre waren sie von jeglicher Steuer und Einquartierung frei, an den Grundherren lieferten sie wenig ab. Es ging ihnen viel besser, als den Ungarn.

Die ersten Aufzeichnungen fand ich aus 1781, aus dieser Zeit stammen auch die Matrikeln (Kirchenbücher) und das aus Holz ausgehauene Taufbecken mit einer zinnernen Schüssel.

An Familiennamen konnte ich feststellen: Bredel, Brandner, Edler, Erler, Eiben, Frauenberger, Herold, Henkel, Holz, Hotz (aus dem Hotzenländchen aus dem Schwarzwald), Krumbacher, Löscher, Mayer, Pretli, Bolschwiller, Reinbold, Schartner, Siegel, Sinn, Streitmatter, Weniger, Wenz.

 

 

Kirchlich wurden sie vom Klausenburger evang. Pfarrer betreut, diese Betreuung war ja der großen Entfernung wegen sehr mangelhaft. Das heilige Abendmahl wurde ihnen einmal im Jahr gereicht. Darüber, wann und wen die Gemeinde in den ersten Jahren als Pfarrer hatte, weiß man nichts. Lange Zeit hindurch hielt ein Ansiedler namens Brandner Gottesdienste, wahrscheinlich nur Lesegottesdienste. Nach Aufzeichnungen konnte ich feststellen, dass folgende Pfarrer auch als Lehrer fungierten: Francisci, Fabritius, Schmidt, Thellmann und Dobrovodski (ev. Pole), aber wann, das ging nicht einwandfrei hervor.

 

Geregelter war das kirchliche und schulische Leben bei Johann Radler (wahrscheinlich aus Radeln?). Radler war längere Zeit hier, ist auch da gestorben. Seine Tochter Elisabeth hat einen wohlhabenden Bauern (Reinbold) geheiratet. Sein Sohn Johann hat das Gerberhandwek erlernt, hat eine Ungarin geheiratet und alle Nachkommen sind reformierte Ungarn geworden.

Der folgende Pfarrer war Johann Zakel, in dessen Amtszeit wurde die Gemeinde 1872 in den Bistritzer Kirchenbezirk aufgenommen. Zakel ging von hier nach Billak (Attelsdorf, Siebenbürgen). Ihm folgte Thomas Kosch, ging von hier nach Niedereidisch als Pfarrer.

1893 folgte Georg Friedrich Eisenburger, unter seinem Pfarramte wurde an Stelle der alten, baufälligen Kirche mit Unterstützung des Gustav-Adolf-Vereins 1894/95 eine schöne, große Kirche gebaut. Eisenburger war ein tüchtiger Pfarrer, der, um das Deutschtum in der Gemeinde wachzurütteln, die Mundart der Leute erlernte. Er war beliebt und ging leider nach Billak als Pfarrer, von hier trat er in den Ruhestand und starb in Lechnitz bei seinem ältesten Sohne. Der nächste Pfarrer war Karl Schranz von 1901-1919. Geboren wurde er 1864 im Burgenland (Österreich). Er starb bei Mecburg bei seinem Sohne.

 

Ihm folgte ich als Kind dieser Gemeinde. Geboren am 30.März 1892, diente ich hier 1913-1919 als Lehrer und Prediger, vom 11. September 1919 bis 29.Juni 1925 als Pfarrer. Mir folgte Michael Drendl, auf Drendl folgte Aikelin bis zur 1944 erfolgten Flucht.

1889 bekam die Gemeinde in Friedrich Reschner einen tüchtigen Lehrer. Geboren 1864 in Bistritz, war er kurze Zeit in Ungersdorf, hier diente er bis 1912. Er war dieser Gemeinde der richtige Führer, seine Schule galt auch bei den staatlichen Aufsichtsbehörden als Muster. Er leitete einen Chor, eine Blaskapelle, gründete den Raiffeisenverein. Er war geachtet und geliebt von allen Gemeindegliedern. Leider hat er auch eine Ungarin geheiratet, die Ehe blieb kinderlos. Er starb 1928 in der Gemeinde und ist neben seinem schönen großen Obst- und Weingarten auf dem reformierten Friedhofe beerdigt.

Andere Lehrer waren noch: bis zur Flucht: Preiß, Conradt, Knopp, Junk, Fleischer, Klein, Reinheimer, Winkler.

 

 

Das Pfarrhaus war ein großes Haus mit aus Lehm gestampften Wänden, hatte einen geräumigen Hof und Garten. An Stelle dieses alten Hauses wurde in den dreißiger Jahren ein schönes, neues gebaut. 1900 wurde auch eine Schule mit einem großen schönen Klassenzimmer und mit einem Vorzimmer gebaut. In den dreißiger Jahren wurde auf dem Kirchhofe eine neue Schule mit zwei Klassenzimmern und zwei Lehrerwohnungen gebaut und die alte Schule wurde für Versammlungen und Unterhaltung benützt. In die neue Kirche wurde eine Orgel und zwei Glocken angeschafft. Leider fielen beide Glocken dem ersten Weltkrieg zum Opfer. 1923 konnten wir wieder eine größere Glocke anschaffen. 1924 hatten wir auch eine neue Lehrerwohnung gebaut.

Die Aussiedler hatten es nicht leicht. Viel Spott und Hass mussten sie von den Ungarn erdulden. Sie waren die einzigen Deutschen im ganzen Komitate. Ihre deutsche Schule haben sie immer behalten, sie hörten ja deutsch nur in der Kirche und in der Schule.

Mischehen gab es, leider sogar bei ihren Angestellten (Reschner, Orendi, Klein, Preiß). Leider mussten oft auch die Angestellten mit den Leuten ungarisch reden, weil Angestellten die Mundart und die Leute die hochdeutsche Sprache nicht kannten. Ich war der einzige der die Mundart beherrschte.

Die Gemeinde war eine große Marktgemeinde, hatte jeden Dienstag Wochenmarkt und sechs bis sieben Jahrmärkte. Gemeindeamt, Gendarmerieposten, Post, Telefon, Telegraf, Arzt, Apotheke, Geschäfte, Mühlen.

Die Bewohner waren Ungarn, Deutsche, Rumänen, Juden und Zigeuner. Kirchen waren zwei, unsere evangelische und die reformierte. Schulen waren ungarische, deutsche und rumänische.

 

 

Die baptistische Sekte hat sich seit etwa 60 Jahren in der Gemeinde sehr ausgebreitet und auch viele Deutsche zum Austritt aus der Kirche verleitet. In einer Zeit (vor 1848) haben die Jesuiten einige Familien durch Geld zum Übertritt zum Katholizismus verführt. Der Grundherr hat diese Familien vertrieben, denn der duldete in seiner Gemeinde nur Protestanten. Wahrscheinlich sind sie nach Tasnad (Trestenburg) gezogen, denn dort hatte Freiherr Bak katholische deutsche angesiedelt.

Trotz des Hasses, den Die Ungarn immer wieder zeigten, mussten sie unsere Leute immer als Muster anerkennen und oft waren die Gemeindevertreter Jahrzehnte hindurch Deutsche. Unsere deutsche Handwerker und Kaufleute waren hochgeachtet.

Der härteste Schlag traf unsere Gemeinde im Herbst 1944, als die Leute zur Flucht gezwungen wurden.

Damals zählte unsere Kirchengemeinde etwas über 700 Seelen. Die meisten flüchteten bis nach Österreich und Deutschland und wenige kehrten zurück. Heute sieht es da sehr traurig aus. Nach der Flucht haben sie nur sehr Zeit einen Pfarrer gehabt. Seit dann ist keiner mehr. Hie und da besucht sie ein Pfarrer aus Hermannstadt oder aus Bistritz. Sonst sind sie auf den Dienst des reformierten Pfarrers angewiesen, der aber gar nicht deutsch kann. So wurde das Deutschtum dort bald aufhören.

 

 

Eine deutsche Schule mit vier Jahrgängen wird vom Staate zwar erhalten, weil auch die Kinder der Baptisten diese Schule besuchen.

Die Kirchengemeinde zählt heute noch etwa 200 Seelen, aber auch die zerstreuen sich im Lande, denn Eigentum hat niemand mehr und in der Kollektivwirtschaft verdienen sie nichts. Die Ausreise in die Bundesrepublik oder nach Österreich wird ihnen nicht gewährt.

Ich habe in den Jahrgängen 1957 – 1958 meinen Urlaub immer dort verbracht und ihnen gedient. 1957 haben wir eine kleine Erinnerungsfeier an die vor zweihundert Jahren erfolgte Einwanderung gehabt. Nach 215 Jahren geht auch diese deutsche Gemeinde ihrem Ende entgegen. Es handelt sich hier zwar nicht um eine siebenbürgisch- sächsische Siedlung, aber doch um eine siebenbürgisch deutsche Volksgruppe.

Mit den Schwaben aus der Sathmarer Gegend hatten sie keine Verbindung.

Von unseren vorgesetzten kirchlichen Behörden wurde die Gemeinde immer des Kinderreichtums und des frommen kirchlichen Lebens wegen gelobt und auch immer moralisch und geldlich unterstützt. Ein guter Freund der Gemeinde war der gottselige Herr Bischof D. Dr. Friedrich Teutsch.

 

Pfarrer Andreas Weniger

Erschienen in „ Licht der Heimat“ Nr. 153, Juli 1966.