Die Glocken läuten wieder


Wir alle können uns an die zum Teil kontroversen Diskussionen über das Schicksal unserer Kirche in Kriegsdorf erinnern. Ob sie abgerissen werden soll, ob sie wieder aufgebaut werden soll, oder welche Vorschläge auch immer im Raum standen.

Fakt ist: Der Turm steht und die Glocken läuten wieder.
Über die Sinnigkeit oder Unsinnigkeit der Maßnahme mag man unterschied-lichster Meinung sein, der Turm wurde abgetragen und wieder neu aufgebaut. Es ist ein schöner Turm, schöner als der 1975 zum Teil abgetragene Turm war.

Das Schönste für mich daran ist, daß die Glocken wieder läuten. Dies verdanken wir zwei unserer Landsleute, die unermüdlich und unerschütterlich ihren Traum und ihr Vorhaben vorangetrieben und verwirklicht haben. Ihnen gebührt Respekt, Anerkennung und Lob für den Einsatz, den sie gezeigt haben.

Als wir, meine Frau und ich, letzten Herbst Kriegsdorf besucht haben und die abgetragene Kirche gesehen haben, befiel mich eine innere Trauer; zu viele verfallene Kirchen habe ich überall in Siebenbürgen gesehen, als dass ich an einen Wiederaufbau hätte glauben können.

Um so größer war meine Überraschung und Freude, als ich letzte Woche den wieder aufgebauten Turm gesehen hab. Er ist kleiner und niedriger als der ursprüngliche Turm, den unsere Vorfahren gebaut haben, in der Form aber, erinnerte er sehr stark an den alten Kriegsdorfer Glockenturm. Er scheint mit Bedacht geplant worden zu sein.

Wir gingen zur Quelle (Tschorgou), wo Generationen von Kriegsdorfer ihre Krüge gefüllt haben, wenn sie zur Feldarbeit gingen. Auf dem Rückweg, Punkt 12 Uhr mittags, läuteten die Glocken, erst die der Ungarischen Kirche und dann unsere. Es war ein erhebendes Gefühl.

Ich muß gestehen, ich war gerührt wie selten.

Mir schien es, als würden sie aus der Vergangenheit zu uns rufen.

Es war derselbe Klang, den meine Eltern, Großeltern und Urgroßeltern gehört haben. Es war der Klang, den alle Kriegsdorfer, ob Mann oder Frau, ob Jung oder Alt, als das Läuten ihrer Glocken erkannt haben, wie die Stimme der Eltern und Freunde.

 

Es waren dieselben Glocken, die unsere Vorfahren zur ihrer Taufe begrüßt, zu ihrer Hochzeit gesegnet und zur ihrer Beerdigung verabschiedet haben.

Heute können nur wenige Kriegsdorfer die Glocken hören; wir sind in alle Welt verstreut.

Die Kriegsdorfer sind allesamt redlich, fleißig und ehrlich.
Diese Eigenschaften mussten die ersten Siedler nach Kriegsdorf mitbringen, wenn sie in der Gemeinschaft überleben wollten. Nur schwer können wir uns vorstellen, welche Unwegsamkeiten und Hürden sie überwinden mussten, um zu bestehen.

Auf unserer Rückreise habe ich mich Tagträumereien hingegeben und habe bei mir gedacht und meiner Frau erzählt, wie schön, und dazu viel einfacher, es für uns heutzutage wäre, diese Gemeinschaft zu erleben. Nicht in einem Saal bei Kaffee und Kuchen in Deutschland, sondern in Kriegsdorf.

Ich stellte mir vor, einige oder viele Kriegsdorfer würden einige Tage in Kriegsdorf verbringen, in einfachsten Verhältnissen, bei der Verwirklichung eines oder mehrerer Vorhaben, wie damals unsere Vorfahren.
Zu tun gäbe es, weiß Gott, genug, man muss sich nur die Bilder der alten und neuen Schule, des Kulturhauses und des Kirchhofs vor Augen führen. Auch das Pfarrhaus und der Friedhof, wo all unsere Ahnen liegen, sind bejammernswert.

All diese Gebäude und auch der Friedhof gehören uns Kriegsdorfern.

Sie wurden von unseren gemeinsamen Vorfahren gebaut und angelegt. Für sich, für uns und für unsere Kinder. Manch einer könnte einwenden, dass wir nichts mehr davon brauchen. Das ist wahr. Ich gebe allerdings zu bedenken, dass dies auch auf das Elternhaus zutrifft. Trotzdem würde man das Elternhaus nicht verfallen lassen. Es ist nicht nur eine Frage des Geldes, denn soviel Arbeit, wie da zu leisten ist, ist kaum zu bezahlen.

Unsere Vorfahren mußten sich alles Notwendige erst herstellen. Wir würden alles Notwendige mitbringen, oder, wenn möglich, vor Ort beschaffen. Jeder von uns könnte das tun, was ihm liegt und was er kann. Einiges würde abgerissen, anderes würde aufgebaut, einiges repariert oder in Stand gesetzt werden. So würde alles ein würdiges Ende oder eine sinnvolle Verwendung finden.

Wie schön wäre es für uns, all´ die Cousinen und Cousins kennenzulernen, die wir bis jetzt nicht kennen oder noch nicht einmal von ihrer Existenz wissen. Weil sie in Kanada, USA, Brasilien, Israel oder wo auch immer auf der Welt verstreut sind.

Unsere Kinder würden die Gemeinschaft erleben, die wir als so angenehm in Erinnerung haben.

Wie schon gesagt..., es ist ein Traum... Dass man Träume verwirklichen kann, haben uns unsere beiden Landsleute vorgemacht. Die beiden Herren aus Kriegsdorf haben mir klar gemacht, dass der Satz: „Vieles wird möglich, durch den Glauben an das eigene Tun“ heute noch Gültigkeit hat.

Wie anfangs bereits gesagt, die Glocken läuten wieder.

Und vielleicht blüht eines Tages der Friedhof wieder.


Franz Hotz, im Juni 2009